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Gleiswechsel als Debüt-CD zu präsentieren wird dem Künstler und der Sache nur unzureichend gerecht, obwohl es sich hier in der Tat um das erste Soloalbum Florian Kästners als Pianist und Komponist handelt.
Vielmehr gleicht dieses Album dem bejubelten Zieleinlauf eines musikalischen Marathonläufers. „Ich würde dieses Soloalbum als eine Momentaufnahme meines fast schon obsessiven musikalischen Spieltriebs bezeichnen“, so Florian Kästner selbst, „und als Essenz meiner Idee von Jazz.“
Und wenn auch die Musik, die Kompositionen und Arrangements Kästners keiner ergänzenden Erklärung oder Hintergrundinformation bedürfen, um sich nachhaltig in Geist und Psyche des Hörers zu verankern und dort für anregende Spannung und entspannte Stimulanz sorgen, so lohnt ein Blick auf die musikalische Biografie des Künstlers allemal. Seinen Weg zum Jazz darf man getrost als avantgardistische Odyssee bezeichnen die gleichsam auch viel Logisches birgt.
Widersprüche, Brüche, Willenskraft, kontinuierliches Entwickeln, kraftvolles Voranschreiten, Konzentration auf das Wesentliche und lustvolles sich Ausprobieren – all das sind Attribute die sowohl auf das musikalische Schaffen als auch auf den Künstler Florian Kästner zutreffend sind.
In Leipzig wird er geboren und es gibt „keinen besseren Ort für einen musikalischen Menschen um die schönen Künste kennenzulernen“, so Kästner. Aufgewachsen in einem hochmusikalischen Umfeld – die Mutter Geigerin im Rundfunkorchester, der Vater Organist der berühmten Thomaskirche – gehört die klassische Musik seit frühester Kindheit zu seinem Alltag.
Er selbst bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „Ich könnte sogar behaupten, auf eine niemals erzwungene Weise war ich bis zur Pubertät regelrecht abgeschirmt gegen den süßen Saft von Punk und E-Gitarre. Bis heute prägt diese Tatsache meine Herangehensweise an Klang und Entwicklung von musikalischer Form.“
Zunächst lernt Kästner Geige und zeigt schon als Kind ein beachtliches Talent; er spielt in kleinen und großen Orchestern, auch als Solist, und lernt sehr früh das Repertoire der klassischen Konzerthäuser kennen, spielen – und lieben. Tschaikowski, Rachmaninov und Skrjabin heißen zu dieser Zeit seine Helden – da zählt er gerade einmal sechszehn Jahre und hat bis dahin noch auf keiner Klavierbank gesessen.
Zur gleichen Zeit etwa entdeckt Florian Kästner im Plattenschrank seines Vaters einige Scheiben des Bill Evans Trios (mit Scott LaFaro und Paul Motion, ab 1958) – und ist „infiziert“: „Je länger ich diese Musik hörte, umso mehr wollte ich wissen wie sie lebt. Alle Jazzpianisten nennen diese Formation – und ich begegnete ihr rein zufällig. Jazz hatte mich vorher nie interessiert, ich empfand die klassische Musik mit all ihren Facetten immer als vollständig und ausreichend.“
Und nun?
Während Kästner offiziell eine Laufbahn als Konzertgeiger einschlägt, zieht ihn das Piano magisch an: „Nachts übte ich heimlich bis zur Erschöpfung Klavier und hörte Jazz. Und irgendwann musste ich dann eine Entscheidung treffen. Ich war bis dahin ein richtig guter klassischer Geiger. Ich musste trotzdem Pianist werden. Der Drang danach war unerträglich groß. Jeder riet mir: Tue es nicht! Ich tat es…“
Glücklicherweise lernt Florian Kästner mit Anfang zwanzig Richie Beirach kennen, der ihn von Anfang an bestärkt, sein Lehrer und Mentor wird – und stürzt sich kopfüber in zehn Jahre „lustvolle Schwerstarbeit“, wie er selbst es heute benennt.
Und jetzt legt Florian Kästner mit Gleiswechsel ein furioses Soloalbum als Pianist und Komponist vor – Beweis seines Könnens und ein beeindruckendes Statement zum Thema Jazz und wie er ihn versteht. Und dazu hat Kästner eine Menge zu sagen – sowohl kompositorisch und durch seine Interpretation, als auch was ihn umtreibt und aus welchen inneren Quellen er schöpft.
„Mich hat immer gestört, wenn man bei Jazzstücken einen starken Bruch zwischen Thema und Improvisation wahrnimmt. Meine Intention ist, so zu musizieren, dass sich das Stück „selbst weiter komponiert“. Idealerweise verschwimmen für den Hörer unmerklich Form und Entwicklung, das heißt, er nimmt, wenn überhaupt, nur einen weichen Übergang zwischen Komposition (Form) und Improvisation (Entwicklung) wahr.
Das Klavier als Soloinstrument ermöglicht mir, über Form und deren Gestaltung selbst und im spontan vollständig zu bestimmen. Dabei ist Improvisation über vor-komponierte Formen das eine, Improvisation als Jetzt-Komponieren das andere.
Die Musik spielt durch mich. Sie beginnt da, wo ich aufhöre zu kontrollieren und zu erwarten. Das schwierigste ist, diese Freiheit zu erlangen, nicht zu denken, nichts zu erwarten, vollstes Vertrauen in mein Können und Musikalität hineinzugeben, das mögliche Scheitern zu akzeptieren.
Über die Jahre des Probierens und Scheiterns sehe ich mich jetzt dieser Herausforderung gewachsen…“
Und das ist Gleiswechsel – die Stücke des Albums klingen als doppeldeutig biografische Notizen (Gleiswechsel; Sänk Juh For Träwelling), verneigen sich mit Leipzig vor einer Stadt, die den Künstler so sehr geprägt hat, und haben mit einer Bearbeitung des uralten Chorals Ich rufe zu Dir keinerlei Berührungsängste mit dem klassischen Background Florian Kästners.
Gleiswechsel „liest“ sich geradezu wie der genetische Footprint eines Künstlers, der Klassik und Jazz gleichermaßen in seinen Genen verankert trägt. – Und als vielleicht eine der besten Ideen des Jazz, die man überhaupt haben kann!